Die Geschichte des Dreiecks liest sich wie ein spannender Roman. Sie handelt vom Mut und vom Engagement einer Handvoll Idealist*innen, von ihrem unermüd­lichen Kampf gegen Kapitalismus und Erneuerungswahn. Und von einem kleinen Viertel in Zürichs Kreis 4, das seine Eigenständigkeit bewahrt hat und in seiner Grundstruktur ein Dreieck geblieben ist. Geschrieben wurde diese Geschichte – wie so viele andere auch – vom Leben selbst. Genauer: vom Leben am Rand der früheren Gemeinde Aussersihl.

… vor 1986

Die Geschichte des Dreiecks beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem sprunghaften Wachstum der damaligen Gemeinde Aussersihl, die das sumpfige Gelände zwischen Anker- und Zweierstrasse um 1870 als Bauland erschliesst. Zunächst entstehen einige kleinere, freistehende Wohnhäuser, ab 1880 fünfgeschossige Blockrandbauten. Besitzer sind Gewerbetreibende, die im Erdgeschoss ihre Geschäfte führen: Es gibt eine Bäckerei, eine Metzgerei, einen Milchladen, einen Coiffeur. In den Hofgebäuden siedeln sich Handwerker mit ihren Werkstätten an. Über die Mieter*innen der einfachen Wohnungen wissen wir nichts: Sie kommen und gehen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Ab den 1950er-Jahren bedrohen Projekte für Expressstrassen das Quartier: Die Stadt kauft die Liegenschaften auf, um freie Hand für den Ausbau von Anker- und Zweierstrasse zu bekommen. In einer Volksabstimmung werden die Strassenprojekte 1979 jedoch verworfen.
Die städtische Liegenschaftsverwaltung sitzt auf 13 alten Häusern, die sie als Abbruchobjekte gekauft und deshalb nicht mehr unterhalten hatte. Sie vermietet die Wohnungen an ausländische Familien und Wohngemeinschaften, denen günstige Mieten wichtiger sind als Komfort. Ladenlokale und Werkstätten stehen leer oder verkommen zu Lagerräumen, Hinterhöfe füllen sich mit Sperrmüll. Das Quartier neigt zur Verwahrlosung, die Behörden sehen sich zum Handeln genötigt.

1986

Die Pläne der Stadt zur «Wiederbelebung» des Dreiecks werden publik. Sieben Wohnhäuser und die Hofgebäude sollen im Rahmen eines «Pilotprojektes» abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt werden. Die Baugenossenschaft der Gewerkschaft Bau+Holz (Bahoge) will die Siedlung im Baurecht übernehmen. Für das Projekt schreibt die Stadt einen Architekturwettbewerb aus.
Einige Bewohner*innen der betroffenen Häuser setzen sich für die bestehenden Gebäude und Wohnungen und gegen das Neubauprojekt ein. Ein Architekt erstellt in ihrem Auftrag ein neues Gutachten und kommt zum Schluss, dass keines der Gebäude abbruchreif ist. Die Bewohner*innengruppe fordert die Stadt auf, die Häuser als günstigen Wohn- und Gewerberaum zu erhalten und zu renovieren.

1987

Die Bewohner*innen setzen sich weiterhin kämpferisch für die Erhaltung der Häuser ein: Die am Wettbewerb teilnehmenden Architekten werden bei der Besichtigung des Quartiers in Baunetze verstrickt; das Haus Zweierstrasse 50, das die Stadt vorzeitig schleifen lassen will, wird besetzt und kann nach der Räumung nur unter massivem Polizeischutz abgebrochen werden; die für den Wettbewerb eingereichten Architekturmodelle verschwinden schliesslich auf mysteriöse Weise aus einem Ausstellungsraum.
Trotzdem wird der Wettbewerb mit einiger Verzögerung juriert. Das Resultat ist derart unbefriedigend, dass sich Stadträtin Koch zu einer «Schandpredigt» an die Teilnehmenden veranlasst sieht.

1988

Die Mieter*innen gründen den Verein Das Dreieck, der von nun an für den Widerstand gegen den Abbruch verantwortlich zeichnet. Der Verein beschliesst, ein eigenes Projekt für die Renovation des Dreiecks auszuarbeiten. Eine Gruppe von Architekt*innen erklärt sich zur unentgeltlichen Mitarbeit bereit.
Weiterhin tritt der Verein auch öffentlich für seine Anliegen ein. So wird eine Fachdiskussion über den Wettbewerb zum Widerstands-Forum umgemünzt, und im – um die neue Baulücke erweiterten – Dreiecks-Hof findet das erste grosse Sommerfest mit mehreren hundert Gästen statt.

1989

Das Renovationsprojekt des Vereins wird der Öffentlichkeit vorgestellt. Es zeigt die Möglichkeit auf, die bestehenden Häuser zu sanieren und als günstigen Wohn- und Gewerberaum zu erhalten. Für die Baulücke an der Zweierstrasse ist ein Neubau vorgesehen.
Der Verein fordert die Stadt zur Kooperation auf. Er kann verschiedene Verbände, prominente Fachleute und etliche Gemeinderät*innen von den Vorteilen einer sanften Sanierung überzeugen. Zudem erreicht er den Rückzug der Gewerkschaft Bau+Holz (Bahoge), sodass die Stadt im Herbst ohne Baurechtsnehmerin dasteht.

1991

Die Studie geht ihren Weg durch die Ämter: Das Hochbauamt nimmt positiv Stellung, die Liegenschaftenverwaltung gibt zusätzlich eine Wirtschaftlichkeitsstudie in Auftrag. Die Bewohner*innen erholen sich derweil von den Strapazen des Kampfes, organisieren Feste und pflegen die Konsolidierung ihrer Gemeinschaft.

1992

Das Finanzgutachten kommt zum Schluss, dass die Kostenmieten in beiden Projekten ungefähr gleich hoch wären. Die Berechnungen wurden allerdings aufgrund eines Abschreibungsmodells erstellt, das Altbauten gegenüber Neubauten benachteiligt. Der Stadtrat beantragt dem Parlament einen Kredit von 1.1 Mio. Franken für die Projektierung des Neubaus.

1993

Mit intensivem Lobbying und nach einer Aktionswoche auf dem Helvetiaplatz, durch die das Dreieck wieder öffentliche Aufmerksamkeit erregt, gelingt es dem Verein erneut, die vorberatende Kommission des Gemeinderates von den Vorzügen der sanften Sanierung zu überzeugen. Daraufhin zieht der Stadtrat seinen Antrag für einen Projektierungskredit zurück mit der Absicht, die Häuser bis auf Weiteres dem Zerfall zu überlassen.
Ein Bewohner lanciert eine Einzelinitiative, mit der die Stadt zur Renovation verpflichtet werden soll.
Gleichzeitig prüft der Verein auch die Möglichkeit des Baurechts. Die Übernahme des Areals im Baurecht ist für die im Dreieck Wohnenden vorläufig aus politischen und finanziellen Gründen nicht möglich. Nach langwieriger Suche nach einer geeigneten Trägerschaft zeigt sich schliesslich die Wohnbaustiftung SBW bereit, das Dreieck im Baurecht zu übernehmen und den Mieter*innen die grösstmögliche Selbstbestimmung zu gewähren.

1994

Der Gemeinderat begrüsst die Abgabe im Baurecht im Grundsatz und beauftragt die Liegenschaftsverwaltung mit der Ausarbeitung eines Vertrags.
SBW und Verein Dreieck einigen sich inzwischen auf ein nur vorübergehendes Engagement der Stiftung von zwei bis drei Jahren. Der Verein soll in dieser Zeit eine eigene Trägerschaft aufbauen, die das Baurecht übernehmen kann. Diese Regelung wird auch im Baurechtsvertrag verankert, der gegen Jahresende öffentlich beurkundet wird.
Die neue Entwicklung hin zur Eigenverantwortlichkeit bedeutet für die Mieterschaft einen grossen Schritt, der von vielfältigen Diskussionen begleitet ist. Um den Prozess intensiv voranzutreiben, wird im Juni ein auf einen Monat befristetes Sekretariat eingerichtet, das so genannte Junibüro. In dieser Zeit werden die Grundzüge der Selbstorganisation geklärt und ein Gründungsvorstand der künftigen Genossenschaft ins Leben gerufen.

1995

Nach der einstimmigen Genehmigung durch den Gemeinderat tritt der Baurechtsvertrag am 1. September in Kraft. Der Verein übernimmt die Verwaltung der Liegenschaft.
Mit einem neuen Mietzinsmodell wird versucht, die bestehenden Lasten möglichst gerecht auf alle Objekte zu verteilen. Die zu Beginn nach wie vor äusserst bescheidenen Mieten sollen nach Renovation um rund 100 % angehoben werden (von ca. 700 Franken auf 1’400 Franken netto/Monat für eine durchschnittliche Vierzimmerwohnung). Dieses an Mieterversammlungen diskutierte und beschlossene Modell gibt den Kostenrahmen für die zu planenden Sanierungsarbeiten vor.

1996

Zu Jahresbeginn wird die Genossenschaft Dreieck als künftige Trägerschaft des Projekts gegründet.
Die Baukommission nimmt die Arbeit auf und vergibt die Planungsaufträge an die fünf in der Architekturgemeinschaft Dreieck lose organisierten Architekturbüros. Es sind dieselben Büros, die bereits früher mit dem Verein zusammenarbeiteten und damit wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen haben.
Gleichzeitig werden erste Arbeiten zur Umgestaltung des Dreiecks in Angriff genommen: Der stark vernachlässigte Gebäudeunterhalt wird intensiviert, eine Quartierwerkstatt und ein Gemeinschaftsraum mit Küche werden eingerichtet. Einige Ladenlokale zeigen sich nach Mieter*innenwechseln in neuem Kleid und bringen einen frischen Wind in das Quartier.
Die Genossenschaft Dreieck erhält den Preis der Stadtzürcher Vereinigung für Heimatschutz.

1997

Baubeginn im Dreieck: Bis zum Herbst werden die Hofgebäude und zwei Wohnhäuser saniert, zwei weitere Häuser werden aussen renoviert. Im Rahmen dieser ersten Renovationsetappe wird auch eine zentrale Energieanlage mit Grundwasserwärmepumpe erstellt, die das ganze Dreieck mit Fernwärme versorgt.
Damit im Dreieck lebende Handwerker*innen bei der Renovation mitarbeiten können, gründet die Genossenschaft ein eigenes Baugeschäft, die Bauhütte. In den kommenden drei Jahren führt die Bauhütte mit einer wechselnden Belegschaft von zwei bis zwölf Angestellten Zimmerei-, Dachdecker-, Abbruch- und Maurerarbeiten aus.
An ihrer ersten Generalversammlung gibt sich die Genossenschaft die zur Übernahme des Baurechts notwendigen Strukturen. Der Verein Das Dreieck hat seine Aufgabe erfüllt und wird aufgelöst.

1998

Früher als ursprünglich geplant übernimmt die Genossenschaft zu Jahresbeginn den Baurechtsvertrag und damit die volle Verantwortung für Bau und Betrieb des Dreiecks.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der ersten, wird die zweite Bauetappe in Angriff genommen: die Renovation des grossen Häuserblocks im Spitz des Dreiecks. Die ehemalige Metzgerei im Haus Ankerstrasse 6 wird zu einer Bar umgebaut, die sich bald nach Eröffnung in der Szene etablieren kann.
Ein anderer Treffpunkt entsteht im Gemeinschaftsraum, wo seit Beginn der Bauarbeiten Dreiecks-Bewohner*innen ein Morgencafé und eine Baukantine betreiben. In der Zeit zwischen den Bauetappen entwickelt sich die Kantine zu einem gut besuchten, öffentlichen Mittagsrestaurant.

1999

Die dritte Bauetappe läuft an: Drei Einzelbauten werden bis zum Jahresende innen und aussen renoviert, zwei weitere Häuser bis Juni 2000 im Innern erneuert. Damit werden die Renovationsarbeiten im Dreieck abgeschlossen; die verbleibenden beiden Altbauten an Gartenhof- und Zweierstrasse sollen den Neubauten weichen.
Nachdem die Genossenschaft bereits im Herbst 1998 architektonische Konzeptstudien in Auftrag gegeben hat, um Umfang und Volumen der Neubauten zu klären, wird unter den Büros der Architekturgemeinschaft Dreieck ein Projektwettbewerb durchgeführt. Aufgrund der ausgewählten Projekte erteilt die Generalversammlung im Juni grünes Licht für die Planung.

2000

Die Genossenschaft steht im Bann der Neubauplanung: Nutzung, Volumen und Gestaltung der beiden Projekte werden diskutiert und festgelegt, im Herbst bewilligt die Generalversammlung für die Neubauten einen Kredit von 6.1 Mio. Franken.
Fast nebenbei werden die Renovationsarbeiten abgeschlossen. Die Gesamt-Baukosten liegen unter den ursprünglichen Prognosen – das wichtigste Ziel des Projekts, die Erhaltung günstigen Wohn- und Gewerberaums, ist erreicht.
Die Bewohner*innen nehmen nach Abzug der Bauleute den Hofraum wieder in Beschlag, die Kinderfilmtruppe realisiert einen neuen Film und die Genossenschaft organisiert erstmals seit vier Jahren ein grosses Dreiecks-Fest.

2001

Die Kostenvoranschläge zu den Neubauprojekten liegen über den Erwartungen; die eingeschaltete Sparrunde hat eine Verschiebung des Baubeginns auf Oktober zur Folge.
Die ans Dreieck grenzende Liegenschaft Ankerstrasse 11, mit der sich die Genossenschaft wegen der problematischen Restaurant-Mieterschaft schon längere Zeit beschäftigt, steht zum Verkauf. Um der drohenden Übernahme durch milieunahe Kreise zuvorzukommen, beschliesst die Generalversammlung, in Kaufverhandlungen einzutreten.

2002

Zu Jahresbeginn wird der Kaufvertrag für die Ankerstrasse 11 unterzeichnet – das Dreieck wächst über die Strasse.
Die Baustelle dominiert das Leben im Dreieck: Mitten im Hof steht der Kran, pausenlos wird gehämmert und gebohrt. Bis Mitte Jahr sind die Rohbauten hochgezogen.
Anfang Oktober beziehen die neuen Mieter*innen den Neubau an der Gartenhofstrasse. Etwas später zieht auch die Kantine in den Neubau um und macht im Hofgebäude Platz für das Gewerbe.

2003

Das Jahr ist für das Dreieck im Gegensatz zu den vorangegangenen weniger durch bauliche Aktivitäten, sondern stärker durch die Belebung der neuen Räume und organisatorisch und finanzielle Umbauten geprägt. Die beiden neuen Häuser und der Hof werden schnell ins alltägliche Leben integriert. Terrassen und Balkone werden belebt und begrünt. Im Zentrum des Ganzen hat der Hof seine Stimmung gewechselt, er dient mal als Versammlungsort, mal als Raum zum Ankommen und Weggehen oder bei schönem Wetter als gastronomischer Aussenraum der Kantine. Diese Aneignung durch die im Dreieck Lebenden begründet neben den baulichen Qualitäten, dass heute Alt und Neu mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit nebeneinanderstehen.

2004

Der Baulärm kehrt zurück: Im Frühjahr beginnt mit einer rekursbedingten Verzögerung von einem halben Jahr die Renovation der Ankerstrasse 11. Bereits im Herbst konnten die Wohnungen und Gewerberäume von den neuen (und alten) Mieter*innen bezogen werden.

2005

Nachdem die vergangenen beiden Jahre von einschneidenden personellen Wechseln im Vorstand und in der Verwaltung geprägt waren – die «Pioniergeneration» wurde abgelöst – ist 2005 ein Jahr der Konsolidierung. Strukturen, Abläufe und Reglemente werden überprüft und auf den neusten Stand gebracht.

2006

Zehn Jahre Genossenschaft Dreieck. Mit rauschenden Festen und einem Kulturprojekt wird dieses Ereignis gefeiert: Zehn Kulturschaffende aus allen Ecken der Schweiz verbringen über das Jubiläumsjahr verteilt ein paar Tage im Gästezimmer und nehmen den Dreieck-Mikrokosmos unter die Lupe: die Menschen, das Gewerbe bis hin zur Tier- und Pflanzenwelt. An öffentlichen Anlässen stellen sie ihre «Forschungsergebnisse» in Form von Texten, Videoarbeiten, Klangcollagen und einem Zukunftsarchiv vor.

2007 / 2008

Das Leben im Dreieck nimmt seinen Lauf, doch man bleibt nicht im Mikrokosmos gefangen, sondern blickt über den Tellerrand hinaus: Die neugegründete Genossenschaft Kalkbreite wird vom Dreieck ideell, finanziell und mit Know-how unterstützt. Diverse Mieter*innen engagieren sich aktiv bei diesem aussergewöhnlichen Projekt in unmittelbarer Nachbarschaft des Dreiecks.

… 2018

Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen, im Quartier weitere Häuser zu kaufen und in die Genossenschaft Dreieck zu integrieren, geschieht im Herbst 2018 das Unerwartete: Vier Wohnhäuser und ein Gewerbegebäude der Förderstiftung Musikschule Konservatorium Zürich sollen zu einem Maximalgebot verkauft werden. Auf politischen Druck kommt die Genossenschaft Dreieck ins Spiel: Ihr wird angeboten, die Häuser – ausserhalb des Bieterverfahrens – zu kaufen. An einer ausserordentlichen GV wird dem Kauf einstimmig zugestimmt. Die Häuser werden für über 17.5 Mio. Franken gekauft und damit der Spekulation entzogen. Das Dreieck wächst so erstmals über die Anker-, Gartenhof- und Zweierstrasse hinaus und verfügt nun über zwei weitere Standorte an der Dienerstrasse/Nietengasse sowie an der Herdernstrasse.

Die Geschichte der Genossenschaft Dreieck ist in einer Broschüre nachzulesen, die gratis bei der Verwaltung bezogen werden kann.